Traumatisierung — Bindung — Verstrickungen
Psychische Stabilität nur um den Preis der chemischen Betäubung aller Gefühle zu erhalten, kann eigentlich nicht der Weisheit letzter Schluss sein. Wenn nicht nur die Ängste und Verwirrungen weg sind, sondern gleich alle Gefühle, gibt es auch keine Lebensfreude mehr.
Die Theoriebausteine meiner Traumatherapiearbeit nach Franz Ruppert sind:
- das Bindungskonzept
- die Traumatheorie
- die Methode des Familienstellens
Mit dem Konzept des Traumas steht erstmals in der Geschichte der Seelenheilkunde ein wissenschaftlich fundierter Theoriezusammenhang zur Verfügung, der verständlich macht, welche Ereignisse die menschliche Psyche nachhaltig und dauerhaft verletzen und in ihrem Kern sogar zerstören können (Fischer und Riedesser 1999).
Die Verstrickungen von Traumatisierung und Bindungsstörungen
Es ist wichtig, die Symptome psychischer Verletzungen einerseits als Folge von Bindungsstörungen und andererseits als Folge von Traumatisierungen besser zu verstehen. Denn es können zusätzliche Einsichten in die Ursachen seelischer Probleme gewonnen werden, wenn man die Möglichkeiten einer Weitergabe der Folgen von Traumatisierungen über den Weg der seelischen Bindung, auch in mehrgenerationalen Familiensystemen in Betracht zieht. Damit wird das Rätsel lösbar, warum sogar Menschen, die persönlich keine Traumaerfahrung gemacht haben, dennoch Symptome zeigen, die auf Traumatisierungen hinweisen.
Über die Methode der Anliegens-Aufstellung wird es möglich, diesen grundlegenden Zusammenhang von Bindung und Trauma in aller Klarheit zu erkennen. Im Sinne der Bindungstheorie betrachtet, bringt dieses Verfahren — mit Hilfe von Stellvertretern Beziehungen in Familien darzustellen — die unbewusst wirkenden Bindungen zwischen Menschen unmittelbar zur Anschauung.
Es zeigt sich beim Einsatz dieser Methode, dass manche dieser Bindungen schwer gestört und ganze Familien deshalb in einem emotionalen Chaos leben. Diese Bindungsstörungen resultieren daraus, dass bestimmte Ereignisse in diesen Familiensystemen psychisch nicht verkraftet werden konnten und daher seelisch nicht zur Ruhe kommen.
Psychische Probleme haben oft weitreichende Verstrickungen
Eine isolierte Betrachtung psychischer Probleme aus einen einzelnen Menschen mit seinen Symptomen reicht nicht aus um Heilung zu erreichen. Psychische Probleme entstehen in Beziehungssystemen mit ihren komplexen Kommunikations- und Interaktionsdynamiken. Aufstellungen zeigen deutlich die weitreichenden Auswirkungen der frühkindlichen Bindungen und die Weitergabe von Traumatisierungen mit ihren Verstrickungen, bis oft in die 3. Generation. Wer mit seiner Mutter und seinem Vater in einer leidvollen, durch Traumaerfahrung gestörten Bindung verstrickt ist, verstrickt sich in seinem weiteren Leben in Paar‑, Freundschafts‑, Arbeits‑, oder Eltern-Kind Beziehungen auf ähnliche Weise.
Traumatisierungen sind ein Mehrgenerationenproblem
Traumaerfahrungen erzeugen Bindungsstörungen, und Bindungsstörungen erhöhen die Wahrscheinlichkeit, selbst eine Traumaerfahrung zu erleiden oder anderen Menschen Traumatisierungen zuzufügen.
Die menschliche Psyche ist ein Mehrgenerationenphänomen mit den dynamischen Prozessen und Interaktionen im Zwischenmenschlichen Bereich. Die schweren körperlichen und psychischen Probleme, die ein Mensch hat, sind sehr häufig Folgen von Verstrickungen in seine Bindungsbeziehungen über drei bis vier Generationen. Daher können “Krankheits”-Symptome auch nur mit Blick auf das Geflecht dieser Bindungsbeziehungen verstanden und gelöst werden. Die Heilung psychischer Verletzungen muss mit Blick auf das gesamte, durch Traumata schwer gestörte Bindungsgeflecht gesucht werden, in das ein Mensch hinein verwoben ist.
Symptome kann man nicht einfach “wegtherapieren”. Das Symptom bringt zum Ausdruck, dass Gefühle blockiert sind.
Die feinfühlige, emphatische Mutter ist der Spiegel, in dem das Kind sich selbst erblickt und beginnt, allmählich ein immer besseres Bewusstsein von sich selbst zu entwickeln. Eine mangelnde und nur wenig entwickelte Feinfühligkeit zeigt sich hingegen darin, dass eine Mutter beim Kontakt mit dem Kind zu sehr mit ihren eigenen Bedürfnissen und Befindlichkeiten beschäftigt ist. Sie deutet mehr ihre eigenen Bedürfnisse in das Kind hinein, als dass sie die Bedürfnisse des Kindes erkennen könnte.
Je besser es der Mutter geht, desto besser geht es uns als ihr Kind. Alles was eine Mutter belastet und was ihr fehlt, belastet und fehlt von Anfang an auch ihrem Kind. Psychische Probleme nehmen in der Mutter-Kind Beziehung ihren Anfang. Die Mutter ist die Quelle für dessen körperliche, emotionale und geistige Entwicklung.
Bindung entsteht durch:
- Kontakt (Körper‑, Hautkontakt)
- Wahrnehmungsvorgänge
- durch Gefühle, z.B. Liebe, aber auch Angst bindet
- durch Gedanken und Erinnerungen
- durch Sprache
Bindungssymptom:
Bindungsstörungen äußern sich bei Kindern in den Abfolgen zuerst:
- Angst und Panik.
- Zorn und Wut, um seinen Forderungen nach dem Wiederkommen der Mutter Nachdruck zu verleihen.
- Verzweiflung und Apathie, da es keinen Sinn mehr in seinen Bemühungen sieht und damit ist die Gefahr groß, (Gefühle abzuspalten und) in Depressivität zu verfallen. (Hoffungslosigkeit, Misstrauen, die Welt ist schlecht, das Leben ist schwer).
Psychische Traumatisierung führt oft zu körperlichen Symptomen
Nach der Stufe der emotionalen Verzweiflung und des emotionalen Rückzugs, folgt als Überlebensmechanismus meist eine Verschiebung des seelischen Schmerzes ins körperliche. Der seelische Schmerz wird in den Körper weggedrückt. Die seelischen Anspannung geht in die körperliche Anspannung über. Dadurch wird der seelische Schmerz nicht mehr so stark gespürt. Der Nachteil ist, dass der seelische Schmerz sich nun als körperliche Anspannung, Verkrampfung und auf Dauer als chronische Erkrankung ausdrückt.
Ein wesentliches Theorem von John Boulby lautet, dass die Erfahrungen eines Kindes mit seiner Mutter und seinem Vater in den ersten Jahren sein späteres Leben entscheidend prägen. Ein Kind entwickelt aufgrund seiner Erfahrungen mit seiner Mutter und seinem Vater ein “internes Arbeitsmodell” für Beziehungen, welches es im späteren Leben auch auf andere Personen überträgt.
- Positive Erfahrungen führen in späteren Beziehungen zu positiven und entsprechenden Verhalten.
- Negative Beziehungserfahrungen haben negative Erwartungen an andere Menschen zur Folge.
Emotionale Bindung schafft Zugehörigkeit. Ohne Gefühle kommen wir bei anderen nicht an und unsere Mitmenschen bleiben uns gleichgültig. Wenn Eltern ihr soziales Gefüge verlieren, wenn sie sich neu in einer fremden Umwelt behaupten müssen, schwächt das auch ihre Kinder, die ihren Platz in der neuen Umgebung nur schwer finden (Auswanderer, Heimatvertriebene, Gastarbeiterschaft). Auch bei Adoptionen verlieren die Kinder die Basis ihrer Zugehörigkeit, die eigene Herkunftsfamilie, bei Auslandsadoptionen zusätzlich das eigene Heimatland.
- Es fehlt ihnen die Grundgewissheit: Ich gehöre zu meiner Familie und zu einer Gesellschaft, zu der meine Familie gehört.
- Es fehlen ihnen die sozialen und emotionalen Wurzeln um sich sicher gebunden zu fühlen.
- Der Aufbau eines stabilen Identitäts- und Selbstwertgefühls ist damit erheblich erschwert.